
Lasse Lührs ist Olympiasieger – für sich, und auch ein bisschen für SSF Bonn und NRWTV
Lasse Lührs ist auch Olympiasieger in der Mixed Team Relay
„Er ist der Star des 42. Allgäu-Triathlon: Lasse Lührs, frischgebackener Olympia-Sieger von Paris“, schrieb die regionale Zeitung beim ersten Wettkampf nach den Spielen. Diesen Status hat sich besagter Triathlet in Paris am 5. August erarbeitet. Lasse Lührs von den SSF Bonn ist Olympiasieger 2024. Das gab es noch nie in NRW. Der 28-Jährige hat für sich, den NRWTV und auch die DTU Geschichte geschrieben, indem er zusammen mit Tim Hellwig (Saarbrücken), Lisa Tertsch (Darmstadt) und Laura Lindemann (Potsdam) die Mixed Team Relay gewann. Sein Rennen in Immenstadt beendete er selbstredend auch als Erster.
Olympische Spiele sind ein einschneidendes Erlebnis für einen Athleten, und ein Sieg multipliziert die Wirkung. „Olympia in Paris war für mich eine unglaublich gute Erfahrung“, blickt der Champion auf die Spiele in der französischen Hauptstadt zurück. „Die Leute waren sehr herzlich, freundlich und gut gelaunt. Man merkte ihnen die Freude an, die Spiele in ihrer Stadt zu haben, und das haben sie den Athlet*innen zurückgegeben.“ Lob hatte der Staffel-Olympiasieger auch für die Polizei und die freiwilligen Helfer*innen. „Ich habe mich immer sicher gefühlt, die Sicherheitskräfte waren auch sehr nett, die Volunteers megahilfsbereit. Das war ein Sportfest, das Leute verbunden hat. Ich habe mich sehr wertgeschätzt gefühlt, und ich glaube wirklich, dass auch die Pariser*innen etwas Positives mitgenommen haben.“
Aus dem durchaus zurückhaltenden und latent dem Rationalen zugeneigten Lührs sprudelte die Freude über den Event mit ein wenig Abstand deutlich heraus. Nach den Einzelrennen war das Team ins Olympische Dorf gezogen. Die Athlet*innen hatten sich dafür ausgesprochen, nachdem das Trainerteam in Erwägung gezogen hatte, im Hotel zu bleiben. „Ich fand den Schritt ins Dorf sehr gut. Da hatten wir Platz, eine Wohnung zu dritt, und wir waren nicht auf Restaurants angewiesen, sondern man konnte genau dann essen, wann man es wollte und was man wollte.“ Von der Kritik am Essen hatte der Wahl-Bonner natürlich gehört, konnte diese aber nicht bestätigen. „Das war kein Gourmetessen, aber absolut in Ordnung und mit einer guten Auswahl.“ Neben einem Salatbuffet gab es die Bereiche „World“, „Französisch“, „Hallal“ und „Asiatisch“.
Viel wichtiger als das Essen waren aber die Atmosphäre und die Mitessenden. „Ich habe mit Abdi Nageeye gefrühstückt, der war mit Luis de la Haye da. Ich habe Eliud Kipchoge getroffen. Martin Fourcade habe ich gesehen, Jan Frodeno war da und hat uns begleitet. Es war insgesamt schon sehr cool, mit anderen Sportlern in einem Raum gesessen zu haben. Das hat was, auch wenn man manche Leute auch einfach nur sieht.“ Man merkt Lührs die Begeisterung über die Treffen mit dem Marathon-Zweiten von Tokio, dem ein Jahrzehnt dominierenden Marathonläufer der Welt, dem besten Biathleten seiner Zeit und anderen Sportler*innen an. Verfehlt hat er allerdings sein Ziel, ein Foto mit der Niederländerin Femke Bol zu machen. Die 400 Meter Hürden-Spezialistin war zwar im Dorf, aber „ich wollte ja auch niemanden stören“, bleibt der Olympiasieger seinem bescheidenen Naturell treu. „Ich bin grundsätzlich eher zurückhaltend, so dass ich den einen oder die andere vermutlich verpasst habe.“
Tolle Tage in Paris
Aber Lührs genoss die Pariser Tage in vollen Zügen. „Die drei Tage nach dem Staffel-Rennen waren toll.“ Als Teilnehmer (oder als Olympiasieger?) hatte er die Möglichkeit, für alle Events Tickets zu erhalten. Daher war er beispielsweise im Olympiastadion bei der Leichtathletik, wo er seinen guten Bekannten, Diskuswerfer Clemens Prüfer, anfeuerte. Beide haben zusammen das Abitur gebaut. Auch Daniel Arce, 3000 Meter-Hindernisläufer aus Spanien, drückte er die Daumen. Arce hatte Lührs während seiner Zeit in Alicante kennengelernt.
Leider endete die Zeit in Paris etwas früher, als die Triathlet*innen es erhofft hatten. Gemäß DOSB durften die Sportler noch drei Tage nach dem eigenen Rennen im Olympischen Dorf bleiben. „Ich denke nicht, dass nach uns noch jemand in die Wohnungen gezogen ist, aber wir mussten das Dorf verlassen, weil dies die vorige Regelung war.“ Die Abschlussfeier verpassten bis auf Fahnenträgerin Laura Lindemann die Triathlet*innen somit. „Ich hätte es schon cool gefunden zu bleiben, aber eine Unterkunft zu suchen, wäre sehr aufwändig geworden, und auch meine Freunde und Familie waren schon abgereist.“
Einzelrennen mit unerwarteten Bedingungen
Diesem etwas trübsamen Ende von Olympia waren wie beschrieben tolle Tage und Eindrücke vorausgegangen sowie turbulente sportliche Zeiten, deretwegen der junge Mann aus Niedersachsen (hallo ZDF!) ja gen Paris gereist war. Die nackten Zahlen: Einzel am 31. Juli mit Rang 21 nach 1:45:56 Stunden; Mixed Team Relay mit dem Olympiasieg in 1:25:39 Stunden gemeinsam mit Tim Hellwig, Lisa Tertsch und Laura Lindemann.
Leidlich war in den Triathlontagen zudem das „Seine-Thema“. Der Fluss war meist nicht beschwimmbar, zum Beispiel zum Training, erstaunlicherweise an den Eventtagen mit einer Ausnahme schon. Die Ausnahme war das Einzelrennen der Herren. Das sollte am 30. Juli um 08:00 morgens starten, es wurde am Tag danach um 10:45 Uhr gestartet.
Somit hat Lührs auch ein paar weniger euphorische Erinnerungen an Olympia 2024. „Was ich kritisiere, ist die Ungewissheit, die mit dem Thema einhergegangen war. Für uns war das der Höhepunkt der letzten drei Jahre, und die Kommunikation war eher unglücklich.“ Der Tenor sei letztlich gewesen: Jetzt warten wir mal ab bezüglich der Wasserqualität, und wir werden schon einen Triathlon machen können. So kam es übrigens auch, denn am Renntag erhielten die Athleten vier Stunden vor dem avisierten Start die Nachricht, dass es keinen Wettkampf geben werde. „So kurzfristig zu sagen, heute nicht, vielleicht morgen, finde ich nicht ganz fair den Sportlern gegenüber, die jahrelang darauf hingearbeitet haben. Es ist auch den Zuschauern gegenüber unschön, die extra zu diesem Rennen anreisen. Und logischerweise hatten viele keine Unterkunft, weil die unglaublich teuer waren, so dass sie ohne Rennen wieder nach Hause gefahren sind.“
Darüber hinaus sieht sich Lührs hinsichtlich der Vorbereitung etwas verschaukelt. „Ich hatte richtig Bock auf das Rennen und die Form hat gepasst. Worauf ich unzureichend vorbereitet war, war diese Verschiebung. Da muss ich ganz klar sagen, dass andere das deutlich besser hinbekommen haben“, konstatierte er. In dieser Aussage bezieht er sich auf zwei Phänomene: die kurzfristige Verschiebung und die neue spätere Startzeit samt der höheren Temperaturen.
„Im Nachhinein habe ich zum einen das Gefühl, dass ich 48 Stunden angespannt war und bereit für das Rennen. Das war zu viel. Ich war am eigentlichen Rennmorgen startklar. Dann habe ich beim Frühstück aber doch noch einmal auf mein Handy geschaut, was normalerweise nicht die erste Priorität in meiner Rennvorbereitung hat, und dann steht da: Es gibt kein Rennen.“
Witzige Randepisode: „Als ich mich dann noch einmal wieder umdrehte, dachte ich auch kurzzeitig: Scheiße, wenn das jetzt ein Traum war, verpasst Du am Olympiatag das Rennen.“ Das hätte ihm kurzzeitig eine weltweite Bekanntheit jenseits eines Olympiasiegs gebracht.
Kritik übt Lührs auch an der Organisation des „neuen“ Rennens. „Was mir sehr große Schwierigkeiten bereitet hat, ist der Umstand, dass es nie zur Option stand, dass wir um kurz vor elf starten und so unser Rennen in der Mittagshitze haben. Es hieß im Vorfeld: Wenn wir nicht starten können, dann wird das Rennen auf den 2. August verlegt. Und wenn das nicht geht, dann wird es ein Duathlon. Die Option, die nun kam, war nie im Gespräch. Ich war auf die Hitze definitiv nicht vorbereitet.“
Das Rennen beendete Lührs als 21. und somit als zweitbester Deutscher (Tim Hellwig 18.). Die eigene Rennzusammenfassung des SSFlers klingt plausibel, weil erlebt: „Ich fand es schwierig, in der Seine zu schwimmen. Ich hatte einen guten Start, aber auf dem Rückweg hat es sich sehr aufgestaut. Durch die starke Strömung war es ein sehr unangenehmes Rennen ob des vielen Körperkontakts, weil jeder Kraft sparen wollte. Da hatte ich meine Probleme, speziell auch unter der Brücke habe ich einige Plätze verloren. Daher musste ich die Taktik ändern, auf dem Rad alles in die Waagschale werfen, um wieder nach vorne zu fahren, und das ist nach ein paar Runden dann ja gelungen. Das Laufen war auch in Ordnung. Aber mir war superwarm, die Hitze hat für mich echt den Unterschied gemacht. Wenn dann zwei, drei Prozent fehlen, geht es bei der olympischen Distanz schnell, einige Plätze weiter hinten zu landen, als man es geplant hat.“
Trotz der Kritik im Vorfeld und trotz der nicht erreichten Ziele schaffte es aber selbst das Einzelrennen bei Lasse Lührs nicht, die Gesamtatmosphäre aus dem Blick zu nehmen. „Ich habe auf jeden Fall alles gegeben, und deshalb auch geschafft, den Wettkampf zu genießen. Im Nachhinein bin ich unglaublich dankbar für dieses Erlebnis, denn das war richtig, richtig cool. Ich glaube nicht, dass es in näherer Zukunft noch einmal einen Triathlon geben wird, wo so viele Leute an der Strecke sind.“
Genugtuung im Mixed Team Relay
Wenn man den Satz wörtlich nimmt, wurde Lührs fünf Tage später Lügen gestraft, aber einem Olympiasieger lässt man dies durchgehen. Nominiert für die Staffel war seine und die Stimmung unter den Athlet*innen eher positiv. „Man hatte das Gefühl, alle haben noch eine Rechnung offen, und nun wollen wir die zweite Chance nutzen, um der Welt zu zeigen, was wir draufhaben. Das war ein cooler Spirit.“
Und so kam es. Die Taktik war einfach ausgedacht: Immer vorne dabei sein, und Laura Lindemann als Letzte in eine aussichtsreiche Position zu bringen und auf die Zielgerade zu schicken. Genau dies gelang und die Potsdamerin gewann den Sprint gegen Tylor Knibb aus den USA und die Schottin Beth Potter, die Olympia auch schon als 10.000 Meter-Läuferin erlebt hat.
Freude, Jubel und auch ein wenig Genugtuung gegenüber den Kritikern nach dem Einzelrennen. Indes war diese Gefühlswelt rasch organisatorischen Ablaufzwängen gewichen. „Nach dem Rennen ging alles furchtbar schnell. Man wird ganz fix weggezerrt aus dem Zielbereich, direkt vor die erste Kamera. Und dann wird einem gesagt, zieh die Trainingsanzüge an, und man kann gar nicht so schnell gucken, wie man die Medaille um den Hals hängen hat“, beschreibt Lührs die Momente, von denen jeder Sportler träumt, eher unspektakulär. „Zum ersten Mal Durchatmen und ein bisschen Denken kann man, wenn die Hymne läuft. Bei mir hat es gedauert, bis ich das verarbeitet habe und nachdenken konnte.“
Es folgten weitere Termine: Olympisches Dorf, ZDF-Studio, Deutsches Haus. Dazwischen viele Fotos, Mit-Selfies und Autogramme. „So gegen 23 Uhr hatte ich Zeit für die Familie.“ (Rennende gegen 9:30 Uhr). „Das war richtig cool: Familie und Freunde waren da. Mit denen zu feiern, war richtig schön.“
Keine Ahnung, was die kommenden Jahre bringen werden
Rückblickend überwiegen daher eindeutig die sehr positiven Erlebnisse gegenüber der verpassten Einzelmedaille, die Lührs Ziel war. Aber Olympia als Gesamtphänomen und Paris als erster Maßstab dafür sorgen – parallel zur Goldmedaille – immer für ein Lächeln in Bonn. „Die haben sich richtig was einfallen lassen, beispielsweise eine Medaillenfeier direkt vor dem Eiffelturm, was unvergesslich ist.“
Inwieweit weitere solcher Momente das Sportlerleben des BWL-Bachelors bereichern werden, steht noch in den Sternen. Allerdings ist dieses sportliche Leben des Lasse Lührs noch nicht beendet. „Ich finde es jetzt spannend, mal ein weißes Blatt Papier zu nehmen und aufzuschreiben, was mich noch so antreibt. Ich bin gespannt auf die kommenden Gespräche mit den Trainern, und denke, ich kann einiges noch ändern. Es ist noch alles offen“, beschreibt er seine sportliche Zukunft. Ob die zu den Olympischen Spielen in Los Angeles führen soll, oder auf andere Distanzen, ist noch nicht entschieden. „Aktuell habe ich natürlich noch ein paar sportliche Ziele. Ich will die Mittel- und Langdistanz zumindest mal ausprobieren. Was mich aus sportlicher Sicht aber am meisten reizt, ist bei jedem Rennen vorne dabei zu sein. An guten Tagen Dritter und an schlechten Tagen Siebter werden. Das ist für mich im Triathlon sportlich gesehen, das Krasseste, was man erreichen kann. Und man hat auch an den Medaillengewinnern gesehen, dass die immer vorne mit dabei sind. Das ist mein größter Reiz.“
Klingt nach weiteren Jahren auf der Kurzdistanz, aber das Blatt ist noch weiß.
Bilder: triathlon.org

